Zwänge können in unterschiedlichen Manifestationen auftreten, entsprechend kann auch der Grad der erlebten Beeinträchtigung variieren. Wenn das Ausmass einer Zwangsstörung so stark zunimmt, dass die betroffene Person und gegebenenfalls auch deren soziales Netz zunehmend leiden, ist die Anmeldung zur Psychotherapie sinnvoll. Aus dem Film kennt man vielleicht die Figuren von „Monk“ oder auch den Film mit Jack Nicholson in „as good as it gets“, welche beide an Zwängen leiden. In den Filmen wirken die Zwänge jedoch häufig lustig, das Leiden und die persönliche Qual, die meistens mit den Zwängen einhergehen, bleiben dem Zuschauer verborgen.
Zwangsstörungen sind gar nicht so selten. Die Lebenszeitprävalenz im deutschsprachigen Raum liegt bei etwa 2-3%, womit die Zwangsstörung die vierthäufigste psychische Störung ist.
Zwangsstörungen werden in Zwangshandlungen und Zwangsgedanken unterteilt. Die Betroffenen erleben einen inneren, subjektiven Drang, bestimmte Sachen zu denken oder zu tun. Diese Gedanken oder Handlungen werden von den Betroffenen häufig als sinnlos gesehen, sie wollen evt. Widerstand dagegen leisten. Dadurch kann es jedoch zu einer intensiven Zunahme eines unangenehmen Gefühlzustandes (Anspannung, Angst) kommen. Durch das Ausführen der Zwangsgedanken oder -handlungen erleben die Betroffenen häufig eine starke, jedoch meistens nur kurzdauernde Reduktion dieser inneren Anspannung, so dass sie die Zwangshandlungen bzw. -gedanken von vorne beginnen müssen (Teufelskreis). Diese Gedanken oder Tätigkeiten nehmen häufig sehr viel Zeit in Anspruch, so dass es bei der Arbeit zu Schwierigkeiten bis hin zur Kündigung und zum sozialen Abstieg kommen kann.
Die Zwangshandlungen unterscheiden sich u.a. in Waschzwänge, Kontrollzwänge oder Ordnungszwänge. Beim Wasch- oder Putzzwang besteht in der Regel eine grosse Angst vor einer Ansteckung mit Krankheitskeimen, die Furcht vor einer Verunreinigung mit menschlichen Ausscheidungen oder gefährlichen Chemikalien. Im Rahmen dessen kommt es zum Bsp. zu wiederholtem Putzen der Wohnung, Waschen der Hände bzw. des Körpers oder auch zu einem ganz bestimmten Sauberkeits- bzw. Sicherheitsverhalten in der Wohnung (bestimmte Kleidung nur in bestimmten Räumen tragen; Hände immer genau 10x rechts herum und 10x links herum waschen etc.). Beim Waschzwang kommt es häufig auch zu körperlichen Folgeschäden mit zum Bsp. sehr trockenen, spröden bis rissigen und schmerzhaften Händen.
Bei den Kontrollzwängen richtet sich die Angst eher auf Elektrogeräte (Herd, Bügeleisen etc.), Türen oder Fenster, die immer wieder kontrolliert werden müssen, ob sie abgestellt sind. Bei der Angst, möglicherweise einen Fehler begangen zu haben, kann zum Bsp. auch immer wieder dieselbe Wegstrecke mit dem Auto abgefahren werden oder am Arbeitsplatz ein bestimmter Text immer wieder kontrolliert werden. Ordnungszwänge gehen damit einher, dass die Betroffenen eine extreme Symmetrie bzw. Genauigkeit um sich herum haben müssen, da es bei Unordnung zu massiver Unruhe und Anspannung kommt. Häufig gehen diese Zwänge auch mit Zählzwängen einher, wobei jedes beliebige Objekt oder jede beliebige Handlung immer wieder von neuem gezählt werden muss.
Die Zwangsgedanken sind wiederkehrende, anhaltende Gedanken, Impulse oder Vorstellungen, die meistens als aufdringlich oder unangemessen empfunden werden und häufig grosse Angst und Unbehagen hervorrufen. Häufig sind diese Zwangsgedanken mit der Angst verbunden, gegen ein soziales Tabu zu verstossen (Herausschreien obszöner Worte; die Vorstellung, aggressiv/gewalttätig zu werden; der Impuls, gegen sexuelle, religiöse oder sonstige Verhaltensnormen zu handeln).
Häufig kommt es bei langdauernden Zwängen im Verlauf zu einer depressiven Stimmungslage (Abgeschlagenheit, Stimmungstief, Schlafprobleme, Antriebsstörungen, Freudlosigkeit, Gleichgültigkeit bis hin zu Sterbewünschen). Da viele Betroffene sich für ihre Symptome schämen und/oder aufgrund ihrer Zwänge auch kaum mehr aus dem Haus kommen, suchen sie sich häufig erst spät Hilfe. Einige Betroffenen versuchen sich mit Hilfe von Alkohol, Drogen oder bestimmten Medikamenten zu entlasten, was jedoch längerfristig zur Verschlimmerung der Symptome führt.
Bei der Therapie der Zwangsstörung kommen sowohl psychotherapeutische wie auch medikamentöse Verfahren zur Anwendung, welche meistens im ambulanten Setting durchgeführt werden können mit ca. 1h pro Woche. Im Rahmen der Verhaltenstherapie wird meistens zunächst eine Diagnostik durchgeführt, um ein individuelles Krankheitsverständnis zu erlangen. Im Rahmen eines Expositionstrainings, welches im Rahmen der Therapie genau erklärt und besprochen wird, werden die Zwänge abgebaut. Meistens muss sich der Betroffene anfänglich überwinden, sich seinen Ängsten auszusetzen. Je häufiger er dies jedoch schafft, desto besser werden sein Selbstvertrauen und die Zuversicht, die Ängste auch in schwierigeren Situationen aushalten bzw. abbauen zu können. Häufig reicht eine alleinige Psychotherapie aus, um die Symptome des Betroffenen massiv zu verbessern. Manchmal kann es jedoch sinnvoll sein, eine zusätzliche medikamentöse Therapie zu etablieren, v.a. wenn auch noch depressive Symptome vorliegen.
Weitere Informationen finden Sie u.a. auf der Homepage der Schweizerischen Gesellschaft für Zwangsstörungen SGZ (www.zwaenge.ch).
Autorin: Dr.med. Doris Bieri, Fachärztin FMH Psychiatrie und Psychotherapie | ACAMED Dübendorf
Quellenangaben:
Kognitive Verhaltenstherapie bei Zwangsstörungen; A.Lakatos, H. Reinecker, Hogrefe Verlag
Expositionen bei Ängsten und Zwängen; Hoffmann, Hofmann, Beltz PVU
Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie; K.Lieb, S.Frauenknecht, S.Brunnhuber, Urban&Fischer Verlag